Zusammenspiel

Von Christa v. Bernuth/Textredaktion ELLE Deutsche Ausgabe

Unter dem Titel Zusammenspiel veröffentlichte die ELLE (Deutsche Ausgabe) im August 2013 ein Interview mit Katharina Schüttler und Mark Waschke

ELLE: Wie nähern Sie sich Figuren an – über deren Handlungen oder deren Gedanken und Gefühle?

Mark Waschke: Das Erste. Ich finde es ganz schlimm, wenn Regisseure die Rolle nur adjektivistisch beschreiben. Du, das war alles schon ganz toll, aber ich finden, du musst das noch viel brutaler spielen. Meistens wird der Schauspieler dann mein nächsten Take unansehnlichst spielen, und der Regisseur wird den Take auf keinen Fall verwenden können.

ELLE: Angenommen, Sie stehen kurz vorm Auftritt: Gibt es irgendwelchen hilfreichen Rituale?

Katharina Schüttler: Es geht um Präsenz. Ich muss vor die Kamera und mir geht gerade jemand tierisch auf den Keks oder es ist furchtbar kalt: Auf solche Gefühle muss man sich einlassen. Auf den Moment, so wie er ist. Man darf nichts anderes haben wollen, sonst geht die Energie in die falsche Richtung.

ELLE: Nehmen wir Liebesszenen. Schauspieler behaupten gern, dass Sex vor der Kamera nichts Erotisches hat …

K. S.: Null! Was oft passiert, ist dass man sich nach dem Take ausschüttet vor Lachen. Man ist mir hautfarbenen Strings beschäftigt, muss auf abgeklebte Hautpartien aufpassen …
M. W.: Das ist wie auf einer ganz komischen Droge. Ganz komische Pilze. Ich hatte vor einiger Zeit meine erste homosexuelle Liebesszene, ein englischer Film, der ist in Deutschland noch gar nicht rausgekommen … Da hat sich das Team fast mehr geschämt als wir.

ELLE: Die Szene ist sehr explizit?

M.W.: It’s all about fucking and beeing fucked. Und vorher wird sich heftig geküsst.
K.S.: Das ist viel krasser, oder?
M. W.: Ja, viel extremer, als sich danach auf dem Bett zu wälzen.

ELLE: Küssen ist intimer als Sex?

K. S.: Einen leidenschaftlichen Kuss zu spielen, ist sicher mit das Intimste, was vor der Kamera stattfinden kann. Außer vielleicht man dreht einen Porno.
M. W.: Wichtig ist, dass vorher alles abgesprochen wird. Was man macht, wie weit man geht …

ELLE: Und was bringt das?

M. W.: Dann ist ein Zungenkuss ein Tanz nach einer perfektren Choreographie.

ELLE: Choreografie hin oder her, was, wenn man sich nicht mag?

K. S.: Das hatte ich einmal, dass wir gar nicht miteinander konnten.
M. W.: Das Problem entsteht zum Beispiel, wenn man erst am Set diskutiert. Mir ist es am liebsten, man bespricht vorher alles bis ins Detail und macht es dann einfach. Ich mag nicht diese übervorsichtige Rücksichtnahme. Man muss sich einfach besser absprechen!

ELLE: Sonst passiert was?

M. W.: Eine Filmpartnerin wird angeblich nicht richtig informiert und weigert sich, den Kuss so zu machen, wie er geplant war. Solche Situationen sind einfach nur wahnsinnig anstrengend und unprofessionell.

ELLE: Lernt man eigentlich als Schauspieler ganz automatisch etwas über Männer, Frauen und das Leben an sich?

K. S.: Jede Arbeit ist wie ein eigenständiger Kosmos. Der war vorher nie da, den gibt es auch nie wieder in dieser Form. Ich nehme also immer irgendetwas für mich mit, eine Erfahrung, ein Lebensgefühl, eine Erkenntnis: Wahnsinn, wie dieser Mensch durch die Welt geht – ein ganz anderer Blick oder eine andere Art zu stehen …
M. W.: Kunst hat etwas Kathartisches. Da geht es nicht unbedingt um inhaltliche Erkenntnisse. Eher ist es so, dass sich etwas, was ich vorher schon wusste, durch bestimmte Erfahrungen noch mal ganz anders manifestiert.

ELLE: Wann war das so?

M. W.: Bei „Zum Geburtstag“, der im September ins Kino kommt. Der Regisseur Denis Dercourt hatte so eine Unbedingtheit, eine Radikalität, die gleichzeitig beseelt war von einer wahnsinnigen Lebensfreude. Die Bestätigung, dass es so eine Art des Arbeitens gibt, hat mich enorm inspiriert.
K. S.: Eine besondere Erfahrung waren für mich die Dreharbeiten für „Freier Fall“. Ich habe parallel in London eine Miniserie für Channel 4 gedreht und pendelte also immer zwischen London und Stuttgart. Das war toll, denn mein Vater war dabei, um auf meine keine Tochter aufzupassen, und da er selbst Schauspieler, Regisseur und Coach ist, konnte ich mit ihm an beiden Rollen arbeiten.

ELLE: Was hat er Ihnen vermittelt?

K. S.: Er hat mich ermutigt, mich nur zu verhalten und nicht zu spielen.

ELLE: Ist das schwer?

K. S.: Man denkt oft, man selbst reicht nicht aus. Man glaubt, man muss etwas hinzufügen, damit man sich zur Deckung bringt mit seiner Figur. Aber die Illusion der Figur entsteht in dem Moment, in dem man den Mund aufmacht und die Dinge tut, die die Figur tut.

ELLE: Ist Schauspielerei eigentlich eher ein Frauen- als ein Männerberuf?

M. W.: Nein, aber Schauspieler haben vielleicht mehr weibliche Anteile in sich.
K. S.: Das Interesse ist bei Frauen größer. Auf der Schauspielschule sind von 1.000 Bewerbungen 700 Frauen. Dabei ist das klassische Theater oft eine ganz geschlossene Männerwelt.

ELLE: Wie ist es im Film?

K. S.: Also, wenn ich das mit anderen Ländern vergleiche … zum Beispiel Dänemark. Da werden andere Geschichten erzählt, und da sieht eine Frau mit drei Kindern, deren Leben zusammenbricht, aus wie eine Frau mit drei Kindern, deren Leben zusammenbricht …

Elle: Und nicht wie eine blühende 30-Jährige, die die Mutter eines Teenagers spielen muss?

K. S.: Ich hatte Filmmütter, die waren bloß zehn Jahre älter als ich … Absurd! Es gibt in Deutschland eigentlich nur eine Handvoll Schauspielerinnen über 50, die schöne Rollen bekommen. Ich würde mir wünschen, dass sich das ändert.


Das Interview ist in der Ausgabe August 2013 der ELLE (Deutsche Ausgabe) auf den Seiten 242–249 erschienen. (Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der ELLE Verlag GmbH, München)

Hier das Interview als pdf-Version (Veröffentlichung ebenfalls mit freundlicher Genehmigng der ELLE Verlag GmbH, München)