Was war Ihr erster Gedanke, nachdem Sie das Drehbuch zu „Ganz nah bei dir“ gelesen hatten? (vor allem in Bezug auf Lina)?
Als ich das Drehbuch las, war ich gleich sehr angetan von der Geschichte und den beiden so speziellen Charakteren. Ich mochte sofort diese Verquickung vom Humor und Ernsthaftigkeit. Außerdem war mir die Absurdität sehr sympathisch, und ich war sofort Feuer und Flamme für diese eigene, selbstbewusste Lina. Darüber hinaus war ich natürlich fasziniert von den gleich zwei großen Herausforderungen bei dieser Rolle: Cello spielen und blind „sein“.
Gibt es persönliche Anknüpfungspunkte zwischen Lina und Ihnen?
Natürlich steckt in jeder Rolle, die ich spiele, viel von mir selbst. Es ist immer eine Art symbiotische Beziehung zwischen dem Charakter und dem Menschen, der ihn darstellt. Wie Lina habe ich auch Cello gespielt. Das war auf jeden Fall ein Anknüpfungspunkt. Darüber hinaus glaube ich, dass Lina eine sehr glückliche Kindheit hatte und eine Familie in der sie sehr behütet worden ist, was ihr die Kraft gibt mit diesem starken Urvertrauen durch die Welt zu gehen. Im weitesten Sinne habe auch ich eine sehr behütete Kindheit gehabt und Eltern, die mich in allem was ich wollte sehr unterstützt haben.
Was ist es, was Lina an Phillip reizt? Wieso verliebt sie sich ausgerechnet in ihn?
Ich glaube, Lina hat eine große Sehnsucht danach, ein ganz „normales“ Leben zu führen, in eine Welt zu springen, in der sie nicht von allen beschützt wird. Sie ist abenteuerlustig und freiheitsliebend. Ich glaube, sie ist an einem Umbruchspunkt in ihrem Leben; sie will raus aus dem geschützten Raum ihrer Familie und hinein in die Welt, mit aller Selbständigkeit, die es braucht und die sie auch hat. Phillip ist auf eine Art genau der Mann, den sie gesucht hat. Denn er packt sie nicht in Watte, wie es die meisten anderen Menschen tun. Er ist nicht ständig darauf bedacht nur nichts „Falsches“ zu sagen ob ihrer Blindheit. Im Gegenteil: er nimmt kein Blatt vor den Mund. Auf eine sehr spezielle Art und Weise ist Phillip vielleicht der offenste und ehrlichste Mensch, dem Lina je begegnet ist.
Wie spielt man „Blind sein“? Was muss man beachten? Welche Klischees sollte man vermeiden? Hat Ihnen ein Coach geholfen oder haben Sie blinde Bekannte oder Freunde?
Ich habe als erstes in meinen Bekannten- und Freundeskreis überlegt, gibt es eigentlich überhaupt jemanden, den ich kenne, der blind ist? So habe ich dann den besten Freund von einem Freund von mir kennen gelernt, der blind ist. Das war noch in der Vorbereitungsphase auf das Casting. Das war toll und hat mir sehr geholfen. Darüber hinaus war es ein großartiger erster Kontakt um mit vielen Vorurteilen, aus Unwissenheit, über eine vermeintliche Unselbständigkeit von Blinden abzuschließen; er war gerade in Vorbereitungen zu einer seiner vielen Weltreisen. Während der Dreharbeiten war er dann für drei Monate alleine in Tibet. Als klar war, dass ich die Rolle spielen werde, habe ich zwei junge Frauen kennen gelernt, die wie Lina seit ihrer Geburt blind sind und mit ihnen Zeit verbracht und bin mit einer Blindentrainerin durch die Straßen von Berlin gezogen. Sie hat mir gezeigt, wie man mit dem Stock umgeht und wie man sich ohne sein Augenlicht in der Welt und im Alltag zurechtfindet. Wie finde ich eine Ampel? Wie eine U-Bahn-Station? Worauf muss ich achten? So habe ich gelernt meine Ohren als wichtigsten Sinn zu benutzen. Das hat mir sehr für das Spielen geholfen. Ich habe versucht die Welt um mich herum mit meinen Ohren zu sehen. Und dann ist mir eine Woche vor Drehbeginn etwas sehr merkwürdiges passiert: ich bin in Wirklichkeit zwischenzeitlich „erblindet“. Ich war in Eile, da ich verabredet war, um eine der beiden blinden Frauen zu treffen. Ich wollte noch schnell meine Wäsche aufhängen, als mir beim Ausschütteln einer Jeans ein ziemlich großer Stein aus dem umgekrempelten Hosenbein direkt ins Auge flog. Ich konnte richtig dabei zusehen, wie mir der Stein ins Auge flog. Und ich dachte, das kann doch jetzt gar nicht wahr sein, dass mir das passiert. Ich hatte eine Hornhautschürfung und großes Glück gehabt, da der Stein direkt neben der Pupille das Auge getroffen hatte. So bekam ich in der Augenklinik einen Verband und musste zwei Tage beide Augen geschlossen halten. Es war wirklich absurd: nach der Behandlung im Krankenhaus brauchte ich nur in meine Tasche zu greifen, denn meinen Blindenstock hatte ich zum Üben immer bei mir. Die wichtigste Begegnung aber war eine ganz tolle Frau, die ich kennen gelernt habe, die auch von Geburt an blind und ein total verrücktes Huhn ist. Diese Begegnung hat mir Mut gemacht und mir einen ganz neuen Blickwinkel eröffnet. Bei den Proben kamen manchmal Fragen auf, wie: Würde eine Blinde das überhaupt tun? Würde eine Blinde mit einem fremden Mann mitgehen? Natürlich sind das Fragen, die man sich stellen muss, trotz allem ertappt man sich dabei, dass man zu einer gewissen Generalisierung neigt. Als ich besagte Blinde dann kennen gelernt habe, die auch wirklich viele Dinge tut, die ein Sehender vielleicht nicht tun würde, wurde mir klar, dass man diese Frage so allgemein überhaupt nicht stellen kann. Die entscheidende Frage ist: Würde Lina das machen? Wenn ich nun erblinde oder Sie, dann werden wir ja völlig verschieden handeln und reagieren. Wir bleiben natürlich der Mensch, der wir sind. Und jeder ist einzigartig. Das hat mir eine große Freiheit gegeben für das Spielen.
Spielen Sie Cello?
Ich habe mit zehn Jahren angefangen Cello zu spielen und bis zum Abitur auch Unterricht gehabt. Als ich dann auf die Schauspielschule gegangen bin, habe ich nicht mehr die Zeit dazu gefunden. Ich bedaure das eigentlich sehr. Mein Cello habe ich aber immer noch. Für die Dreharbeiten noch ein Mal Unterricht zu nehmen, war unglaublich toll und hat mir großen Spaß gemacht.
Lina erfüllt sich mit dem Konzert in der Philharmonie den großen Traum ihres Lebens. Haben Sie sich schon mal einen Lebenstraum erfüllt? Und, wie Phillip ja im Film anmerkt, wie sucht man sich einen neuen?
Oh, das ist eine schwierige Frage. Spontan fällt mir da gerade nichts ein. Auf eine Art und Weise habe ich mir vielleicht in so fern einen Traum erfüllt, als dass ich versuche immer nur zu tun, was mir Spaß macht. Das ist für mich ein großer Motor für meine Arbeit. Es ist ein großes Geschenk und vielleicht auch so etwas wie die Erfüllung eines Traums, einen Beruf zu haben, den man liebt. Abgesehen davon glaube ich, dass man sich keine neuen Träume suchen muss, die Träume kommen schon von ganz alleine.
Was war für Sie die schwierigste Szene im Film?
Nervlich aufreibend war der Drehtag an dem wir das große Konzert gefilmt haben. Es ist sehr speziell über das bloße Spiel, seine Figur und den Text, hinaus, noch eine Zusatzaufgabe zu haben beim Drehen. Man braucht eine ganz andere Form von Konzentration, für die man wiederum eine gewisse Ruhe und Zeit braucht. Aber da ist natürlich beim Drehen oft nicht die Zeit für. Wenn so ein Team von 30 Leuten um einen herum bereit zum Drehen ist, dann fällt es natürlich schwer zu sagen: Leute, ich würde mich jetzt gerne noch warm spielen. Außerdem ist es gar nicht so einfach, wenn man sich verspielt und alle am Set das natürlich hören, und vor allem man selbst, es sich nicht anmerken zu lassen. Man darf sich nicht ärgern und muss seine schiefen Töne mit beglücktem Gesichtsausdruck geben, als würde man gerade Jacqueline Du Pré an die Wand spielen.
Was ist Ihre liebste Szene?
Meine Lieblingsszene ist, glaube ich, die Szene im Restaurant. Interessanterweise war sie während der Proben unsere größte „Baustelle“. Es war gar nicht so leicht, sie schauspielerisch und inszenatorisch zu knacken, weil Phillips Verhalten einfach so extrem ist. Wir haben viele verschiedene Varianten ausprobiert, bis sie so wurde, wie sie nun im Film ist. Ich mag sie, weil sie so absurd und dabei doch charmant und komisch ist.
Was hat die Zusammenarbeit mit Almut Getto ausgezeichnet?
Almut Getto ist schnell, immer auf den Punkt und sie hat ein großes Gespür für Dialoge und Situationen.
Darüber hinaus ist sie ein toller Mensch, den ich bei dieser Arbeit sehr schätzen und lieben gelernt
habe. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als diese Zusammenarbeit fortzusetzen.
Wie war die Zusammenarbeit mit Bastian Trost?
Die Zusammenarbeit mit Bastian war wirklich toll. Wir haben sehr viel gelacht bei den Dreharbeiten.
Das Interview stammt aus der Pressemappe des Kinofilms „Ganz nah bei dir“, produziert von Riva Filmproduktion in Koproduktion mit dem NDR