
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von ca:stmag Das Schauspielermagazin
Zartbitter extra
Von Lolita bis Hedda Gabler – die Spannweite, die Katharina Schüttler am Theater spielt, zeigt sie bald auch vor der Kamera
Das Café, in dem wir uns verabredet haben, liegt in der Nähe von Katharina Schüttlers Wohnung im schicken Prenzlauerberg. Viele junge Mütter mit Babys, die entspannt dickflüssigen Luxus-Kakao trinken, einige Pärchen. Katharina Schüttler kommt direkt von der Probe und braucht erst mal ein Stück Rhabarberkuchen und einen Espresso „für den Kreislauf“. Sie trägt ein graues T-Shirt mit Bündchen aus Niki-Stoff und roten Lippenstift. Wenn ihr im Gespräch etwas besonders wichtig ist, beugt sie sich weit nach vorne, fixiert einen aus großen, grünen Augen und untermalt alles, was sie sagt, mit raumgreifenden Handbewegungen. Nachmittags kriege ich so’n krasses Tief. Auf der Probe haben wir am Ende nur gelesen, da habe ich nur so da gesessen (hält die Hand vors Gesicht), um zu verstecken, dass ich einschlafe…
Was probt ihr gerade?
Ein Tanztheaterstück mache ich gerade. (Nach Redaktionsschluss abgesagt, Red.)
Warum machst Du überhaupt noch Theater? Du könntest doch auch nur Filme drehen.
Ich spiele einfach sehr gern Theater, finde es auch einen super Ausgleich. Nur zu drehen fände ich langweilig für mich. Der Anteil des Spielens ist einfach so viel geringer als beim Theater. Was du da als Schauspielerin machst, ist nur ein kleiner Teil, auch wenn es hinterher größer wirkt.
Wieso hast du nach all den extremen Rollen, auf die du abonniert bist, jetzt in „Wahrheit oder Pflicht“ eine eher harmlose Rolle gespielt?
Ich bin nicht so, dass es mir nur Spaß macht, total radikale, extreme Menschen, die in krasse Situationen kommen, zu spielen. Und ich mochte die beiden Regisseure einfach gerne. Es war auch das erste Mal, dass ich einen Film gemacht habe, bei dem die Leute, die produzieren und Regie führen, gar nicht mal so viel älter waren, als ich selbst, und sich dadurch viel stärker ein Gemeinschaftsgefühl entwickelt hat. Dadurch hatten wir auch eine sehr schöne Zeit zusammen.
Also eher persönliche Gründe?
Na ja. Im echten Leben bin ich ein katastrophal schlechter Lügner und fand es reizvoll, eine Figur zu spielen, die konstant nur lügen muss, gezwungen ist, zu lügen. Auch, wie man das am besten erzählt: Mit schlecht lügen oder gut lügen, wann entgleitet einem die Lüge und wann kriegt man es ganz lässig hin?
Kannst du jetzt nach dem Film besser lügen?
(lacht) Nee. Ich glaube nicht. Im Prinzip würde man denken, Schauspieler lügen auf eine Art ständig, weil sie etwas vorspielen, das sie nicht sind. Ja, aber das ist keine Lüge. Im Idealfall versuchst du ja, der Wahrheit so nah wie möglich zu kommen.Was sehr merkwürdig ist, weil es im Prinzip ja nicht du selbst bist, die in dem Moment das tut und sagt, sondern du sagst es, weil es in einem Buch steht. Ich glaube, oft ist man auch unsicher und spielt irgend etwas, weil einem die Kraft und Größe von einem wahrhaftigen Moment Angst macht. Weil dir die Kontrolle entgleitet und du nicht mehr derjenige bist, der mit vollem Bewusstsein manipuliert und spielt und erfindet. Weil plötzlich etwas Überhand nimmt, dadurch, dass du dich aufmachst und nicht mehr spielst. Das ist es, wonach ich auf der Bühne versuche zu streben: Nach einem Moment, in dem du nur noch machst und bist. In dieser allergrößten Einfachheit. Deswegen sind Kinder und Tiere auf der Bühne ziemlich unschlagbar. So ähnlich ist es z. B. auch bei Inszenierungen, die gemischt werden mit „echten“ Menschen, oder wenn man draußen spielt oder in der U-Bahn. Dagegen siehst Du immer, was für eine Knallchargerie Schauspieler eigentlich machen. Wenn Du es schaffst, als Schauspieler unter Passanten zu spielen, ohne als Schauspieler wahrgenommen zu werden – das finde ich das erstrebenswerteste Ziel.
Wie weit gehst Du für eine Rolle und wo gibt es Grenzen?
Wenn ich mich für eine Rolle entscheide, ist erst mal alles möglich. Wenn man Grenzen spürt, ist das auch nicht schlimm, sondern ganz toll, weil jede Grenze eine Herausforderung ist, die Grenze zu überspringen. Das geht aber nur, weil das Spielen im Theater viel mit Abgeben zu tun hat. Deswegen ist es auch so wichtig, mit wem man arbeitet. Im Idealfall hast Du so ein Vertrauen, dass du dich total abgibst, Scham und Peinlichkeit verlierst und erstmal machst. Weil du darauf vertrauen kannst, dass derjenige, der dir gegenüber ist, die Zensur für dich ist und sagt: Das ist super. Und das nicht.
Gelingt es dir, Schamgefühle auszuschalten?
Manchmal nicht. Ich erlebe es jetzt bei den Proben, wo wir viel improvisieren. Die letzten Tage dachte ich immer: Oh Gott, das ist so blöd, was ich hier mache, alle haben so eine tolle Phantasie, Wahnsinn, haha, da lachen alle, und mir fällt nichts ein. Und heute ist irgendetwas passiert, und ich habe mir gar keine Gedanken mehr darüber gemacht. Plötzlich hat es mir totalen Spass gemacht und ich habe gemerkt, dass ich mich darin verliere. Zum ersten Mal habe ich gedacht: Super! Jetzt bin ich doch froh, dass ich dabei bin. Was unterscheidet gute von schlechten Schauspielern? Es funktioniert überhaupt nicht, sich vorher vorzunehmen, was man heute aus sich heraussprudeln lassen möchte. Dann stimmt der Moment nicht mehr. Auch, weil du nie allein bist. Du hast ja einen Partner. Und du kannst nie wissen, was er tun wird. Darauf musst du aber reagieren. Man kann sogar so weit gehen, zu sagen: Es geht überhaupt nicht darum, irgendetwas zu spielen, sondern du bist gut, wenn du eigentlich nur reagierst. Das, was spannend ist, ist das Dazwischen, die Interaktion. Auch im echten Leben: Ich achte nicht darauf, wie ich meine Gabel halte, meinen Kuchen esse, sondern auf das, was ich versuche dir mitzuteilen, und ob es ankommt. Den Kuchen esse ich nebenbei. Es wird immer dann spannend, wenn die Aufmerksamkeit von dir selbst weg geht. Und dann muss man nicht mehr viel spielen, weil dann die Situation stimmt.
Die Feuilletons übertreffen sich zur Zeit mit Zuschreibungen: Krasses Küken, eiskalter Engel. Findest Du Dich darin wieder?
Es ist ja noch relativ frisch, dass ich so Labels bekomme. Ich finde das aber nicht so schlimm, erstens weil ich glaube, dass es dazu gehört und zweitens, weil es auch ganz andere, uninteressante Kategorisierungen gibt. Ich habe witzigerweise das Gefühl, dass man oft mit der Rolle verwechselt wird, die man spielt. Gerade diese Sachen mit „eiskalter Engel“, „wenn Blicke töten könnten“, etc. Das ist halt Hedda. Das ist Hedda, wie ich sie spiele, aber das bin nicht ich. Oder „magische Zicke“ und dergleichen mehr… Bei manchen Artikeln habe ich das Gefühl, dass der Interviewer schon vorher weiss, was er schreiben will.
Bist du ein Workaholic?
Ich glaube, ich muss noch lernen, dass der Beruf auch viel mit Ausruhen zu tun hat. Aber wenn ich zuviel Zeit habe, fehlt mir das total. Wenn ich zu viel Stress habe, fühle ich mich gar nicht so schlecht. Trotzdem, auch als ich das jetzt zugesagt habe, dachte ich, mann, ich hätte drei Monate mit nur fünf Vorstellungen gehabt, im Juni, Juli, August. Das wäre der totale Wahnsinn gewesen! Und dann habe ich das in den Wind geschlagen. Fürs Tanzstück. Nach dem ersten Tag dachte ich: Ich muss bekloppt sein, das jetzt zu tun. Ich kann mich so gut begeistern für Dinge, ich will dann gar nicht daran denken, dass es anstrengend ist, sondern denke, oh, eigentlich wollte ich doch immer tanzen, das ist doch toll, das machen zu können!
Wie ist es für dich, zum Theatertreffen eingeladen zu sein?
Das war schon ulkig. Das war ganz spät, nach einer Abendprobe, da kam der Produktionsleiter von der Schaubühne mit Champagner zur Probe. Ich habe mich schon total gefreut. Mal gucken, wie es ist, zu spielen. Mir erzählen alle, dass es sehr merkwürdig ist, weil man unter so krasser Beobachtung steht. Ein Großteil des Publikums beim Theatertreffen sind halt Theaterleute, und viele von ihnen sitzen da drin, wie man vielleicht auch selbst oft drin sitzt und denken: Ah ja, wieso sind denn die jetzt eingeladen und wir nicht? Ich habe von vielen gehört, gerade wenn sie lustige Stücke hatten, dass es war, wie vor einer Eiswand zu spielen.
Der Druck ist für dich ja sehr gestiegen, in letzter Zeit dadurch, dass du als der Nachwuchsstar giltst. Wie gehst du damit um?
Indem ich immer das Gefühl habe, es geht um jemand anderen. Ich fand das auch bei einem Freund von mir, bei Daniel Brühl, so extrem. Von außen betrachtet bist du auf einmal jemand anders, obwohl du selbst dich ja eigentlich gar nicht veränderst. Du bist immer zwei Personen: Der Mensch, der du selbst bist, und der Mensch, der von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Wenn du plötzlich mit dem Bild konfrontiert wirst, dass die Öffentlichkeit von dir hat, darfst du das nicht verwechseln mit dem Menschen, der du im echten Leben bist. Man muss sich frei machen davon. Wenn die Presse dich niedermacht, heißt das nicht, dass du schlecht bist, und wenn sie dich hochjubelt, heißt das nicht, dass du gut bist. Im Gegenteil, du bleibst immer in deiner wahren Identität.
Je weniger Privatleben man außerhalb dieser Film- und Theaterwelt hat, desto schwieriger wird das wahrscheinlich, oder?
Das stimmt. Es ist eine sehr zweischneidige Angelegenheit. Einerseits fühlt es sich natürlich gut an, öffentlich so viel Bestätigung zu erhalten, andererseits bedeutet es aber auch eine enorme Einschränkung, permanent unter Beobachtung zu stehen; denn es heißt auch Verlust von Freiheit, und damit von Lebensqualität. Freiheit war für mich immer eines der wichtigsten Elemente in meinem Leben. Das ist z. B. einer der Gründe, warum ich aufgehört habe, zu rauchen. Vielleicht ein Vergleich, der hinkt, aber es hat mich genervt, mich von etwas abhängig zu machen, womit ich im Grunde nichts zu tun habe. Ich glaube immer, dass es wichtig ist, so unabhängig wie möglich zu sein. Das war auch ein Grund, warum ich nie überlegt habe, mein Abi nicht zu machen. Ich habe Freundinnen gehabt, die neben der Schule auch viel gedreht haben und dann die Schule abgebrochen haben. Das ist auch okay, aber ich dachte immer: Du hast eine größere Freiheit im Leben, wenn du das Abitur hast. Gut in der Schule zu sein hat mir immer die Freiheit gegeben, zu den Lehrern zu sagen: Hey, wenn ihr mich nicht freistellen wollt, um sechs Wochen zu drehen, gebt mir halt einfach eine Note schlechter…. Ich war so gut, dass sie keine schlüssigen Argumente hatten, es mir zu verbieten. Freiheit bedeutet immer die Möglichkeit, sich entscheiden zu können.
Ist das auch beim Spielen so: Wenn ich gut bin, kann ich mir die Rollen aussuchen, die ich will?
Das stimmt nicht ganz. Es ist nicht unbedingt nur eine Frage der Qualität, sondern auch des Erfolgs. Planbar ist es nicht, denn es steht nicht in deiner Macht, zu bestimmen, welche Rollen dir angeboten werden. Du hast aber natürlich immer die Möglichkeit, dich sowohl für, als auch gegen ein Projekt zu entscheiden. Außerdem, was heißt gut? Du musst dich auch bei jeder Rolle neu unter Beweis stellen. Um wirklich gut zu sein, musst du auch bereit sein Risiken einzugehen, und darfst keine Angst davor haben, dich auf etwas einzulassen, von dem du vielleicht vorher noch nicht sicher weißt, ob du es kannst. Man kann mit jeder Art von Kunst immer wieder erfolgreich sein und im nächsten Moment wieder scheitern. Alles ist drin. Aber genau das macht es auch so spannend. Du kommst nie an einen Punkt, an dem du weißt, das kann ich, wie z. B. ein Schreiner, der sagen kann: Ich weiss jetzt, wie man einen Tisch baut.
Du hast die Szenen aus „Sophiiiiie!“ nicht auf deinem Band, weil Redaktionen immer wieder Schauspielerin und Rolle verwechselten, und die „krasse“ Sophie nicht besetzen wollten.
Das ist schon fast normal, dass da nicht differenziert wird. In Deutschland wird extrem „typisch“ besetzt. Ich glaube, dass es hier selten ist, dass jemand sagt: Ich will mit dem Schauspieler unbedingt mal arbeiten, und ich will, dass der eine Rolle spielt, die ganz anders ist als er. Und dann kriegt er die Haare abgeschnitten, und die Frau, die lange, blonde Locken hat, der mache ich einen blauen Irokesenschnitt, und dreh das mit ihr. Wenn im Drehbuch steht: Sie ist leicht punkig mit kurzen, strubbeligen Haaren, dann sind beim Casting meistens nur Mädchen mit kurzen, strubbeligen Haaren. Und das ist ja eigentlich absurd.
Würdest Du denn gerne mal den total lieben, blonden Engel von Nebenan spielen?
(lacht) Ach, finde ich, klingt jetzt erstmal nicht so wahnsinnig spannend …. Aber ich würde zum Beispiel total gerne mal historisch drehen. Das fände ich toll, weil ich so etwas noch nie gedreht habe. Im Theater kostümierst du dich ja viel mehr. Das finde ich immer sehr hilfreich, um den Abstand zu dir selbst zu vergrössern. Wenn du etwas drehst, was heute spielt, hast du ja meistens Sachen an wie im echten Leben auch. Ich fände es total spannend, mal beim Drehen zu gucken, was mit mir passiert, wenn ich in einem Kostüm bin, das ich privat nicht tragen könnte. Wahrscheinlich müsste man einfach mal für jedes Jahrzehnt Fotos in passender Bekleidung machen. Es ist ja wirklich manchmal nicht so einfach, sich jemand in Jeans und Turnschuhen in den 20ern vorzustellen.
Hast Du darauf denn keinen Einfluss? Kann Deine Agentur nicht entsprechende Fotos auf ihre Homepage stellen?
Na, die Fotos müsste man halt machen. Man müsste dem Fotografen sagen, komm, wir gehen in den Theaterfundus und holen uns Sachen. Das sind Sachen, die man nicht macht, weil man nicht die Zeit hat.
Du hast ja auch schon mal für die Vogue Fotos gemacht.
Ja. Das war so, dass die Vogue Schauspielerinnen fotografiert hat unter dem Motto: Wir testen den Glam-Faktor von sechs jungen Schauspielern. War im Grunde wirklich wie so ein Mode-Shooting.
Wie war das als Erfahrung?
Dieses Verkleiden, ganz anders aussehen, fand ich sehr reizvoll. Aber sonst – wenn ich Fotos gemacht habe, war es immer so, dass ich total frei war. Und bei dem Vogue-Shooting war wirklich ein Fotograph, der aus der Modefotographie kommt, wo Du am Ende total verkrampft da sitzt und denkst, boah, das ist der absolute Alptraum! Trotzdem hat es grossen Spass gemacht. Aber modeln ist wirklich kein leichter Job.
Das Interview stammt aus der Ausgabe 03/2006 von ca:stmag – das Schauspielermagazin und wurde geführt von Julia Büttner