„Ich hoffe auf das Gute im Menschen“

Man muss schon ein Weile darüber grübeln, wann einem dieses Gesicht das erste Mal auffiel. Im fulminanten „Tatort: Bombenstimmung“ (1997), damals der zweite Fall des Kölner Duos Ballauf/Schenk, spielte Katharina Schüttler eine Art kindliche Femme fatale. 2000 hatte sie eine kleine, aber wirkungsvolle Rolle in Christian Petzolds „Die innere Sicherheit“. 2003 machte sie Michael Hofmanns gefühlsradikale ”Sophiiiie!“ ganz alleine zum Spielfilmereignis. Ein Star ist aus der hochbegabten und inzwischen auch hochdekorierten Schauspielerin dennoch nie wirklich geworden. Wohl auch, weil die inzwischen 30-Jährige ihre Rollen mit Bedacht wählt. „Schurkenstück“ ist so ein Stoff, der sie angesprochen hat. Ein recht sperrig inszeniertes Fernsehfilmexperiment von sozialer Brisanz. Die zierliche Wahlberlinerin spielt eine Theaterregisseurin, die mit jugendlichen Häftlingen ein Bühnenstück einüben soll.

teleschau: Frau Schüttler, eine Justizvollzugsanstalt ist ja kein ganz gewöhnlicher Drehort. Bekamen sie was mit vom Gefängnisalltag?

Katharina Schüttler: Wir bekamen schon sehr viel mit. Es war häufig sehr laut dort, weil ständig geschrien wurde oder Musik lief. Außerdem wurde versucht, mit dem Filmteam durch die Fenster zu kommunizieren.

teleschau: Was wurde da gesprochen?

Schüttler: Das möchte ich nicht unbedingt alles wiederholen. Teilweise hatten die Insassen einfach Interesse, was wir machen und wann der Film ausgestrahlt wird. Teilweise machten sie mir gegenüber, als einziger Frau unter den Schauspielern, anzügliche Kommentare. Für die Rolle konnte ich das sehr gut benutzen. Ich war – wie meine Figur auch – ein Fremdkörper in dieser Welt.

teleschau: Wurde es Ihnen da manchmal mulmig?

Schüttler: Mulmig nicht, aber es war ein wahnsinniger Kraftakt. Dasselbe galt für die Figur: Es ist nicht leicht, als Frau eine Gruppe von Jungs zusammenzuhalten und sie dazu zu bekommen, dass zu machen, was man will.

teleschau: Sind Sie vielleicht durchsetzungsfähiger als man es Ihnen auf den ersten Blick zutrauen würde?

Schüttler: Ich glaube, das trifft auf viele Schauspieler zu. Besonders auf die vielen Kleingewachsenen, die es unter meinen Kollegen gibt. Wenn man als Kind kleiner ist als die anderen, muss man ganz anders lernen, sich durchzusetzen.

teleschau: Und zwar wie?

Schüttler: Man kann sich halt nicht mit seiner Körperkraft behaupten. Ich musste schon als Kind andere Wege finden, sei es durch Unterhaltung der ganzen Klasse, durch Humor, wie auch immer. Ich konnte auf jeden Fall niemanden mit meinem Faustschlag beeindrucken.

teleschau: Zum Glück. Sonst hätte es Sie vielleicht mal unter anderen Umständen in eine JVA verschlagen …

Schüttler: Ich fand es wirklich schockierend, die Zellen von innen zu sehen. Ich weiß nicht, ob die zwei Quadratmeter groß sind oder zweieinhalb. Jedenfalls sind sie winzig. Es war wahnsinnig bedrückend. Sie müssen wissen: Wir drehten in dem Gefängnis in Siegburg, in dem vor dreieinhalb Jahren Jugendliche einen Mithäftling so lange folterten, bis der sich umbrachte.

teleschau: Lastet der Skandal noch spürbar auf der Einrichtung?

Schüttler: Ganz frei kann man sich wohl nie machen, wenn etwas so Schlimmes passiert ist. Immerhin ist es heute so, dass in den extrem kleinen Zellen nicht mehr zwei Häftlinge untergebracht sind wie damals, sondern nur noch einer. Trotzdem möchte man da freiwillig keine fünf Minuten drin verbringen. Es ist ein sehr altes Gebäude. Die einzigen Fenster, die es gibt, sind ganz oben unter der Decke. Man kann also nur rausgucken, wenn man sich auf ein Bett stellt.

teleschau: Was sagt das Anstaltspersonal zu der Situation?

Schüttler: Die Gefängnisleiterin hat den Job nach dem Vorfall damals neu übernommen. Eine sehr sympathische Frau. Aber sie blickt auch mit einer Klarsicht auf die Sache, die mir jeden weltverbesserischen Idealismus nahm. Sie meinte, die Jugendlichen hätten es schon in der Freiheit schwer – hinter Gittern aber noch viel mehr. Man muss leider sagen: Die Chance, im Gefängnis unter solchen Umständen ein besserer Mensch zu werden, ist verschwindend gering.

teleschau: Woran liegt es denn, dass offenbar immer mehr Jugendliche überhaupt straffällig werden?

Schüttler: Wenn dauernd am Sozialen gespart wird, verstärkt das natürlich eine gesellschaftliche Spaltung. Das trifft vor allem Jugendliche, die ohnehin in schwierigen Verhältnissen leben. Das sind Dinge, die man sich nur schwer vorstellen kann, wenn man zur bildungsbürgerlichen Mittelschicht gehört.

teleschau: Sie wuchsen in Köln auf. Da treten solche Probleme ja offener zutage als anderswo.

Schüttler: Durchaus. Aber davon bekam ich eigentlich nur bei Dreharbeiten etwas mit. Ich stand ja schon als Jugendliche viel vor der Kamera, auch in Problemfilmen. So bekam ich auch Randgebiete wie Chorweiler zu Gesicht.

teleschau: Und wie erleben Sie die soziale Schieflage heute in Berlin?

Schüttler: Die ist mir sehr bewusst – das war übrigens auch schon vor dem Film so. Ich wohne in Prenzlauer Berg. Hier leben eigentlich keine Menschen über 50. Die, die über 50 sind, das sind die jungen Großeltern, die ihr Enkelkind besuchen. Man spürt, dass der Stadtteil nicht gewachsen ist. Ich lebe gerne dort, viele Freunde von mir sind meine Nachbarn. Aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass man wie in einem großen Ferienlager lebt. Es gibt keine Vermischung von Alt und Jung. Das finde ich sehr schade.

teleschau: Ihr Film vertritt die Idee, das Theater könnte die Gesellschaft einen. Ein hübsche Utopie eigentlich …

Schüttler: In der Regisseurin, die ich spiele, steckt natürlich viel Idealismus und auch eine große Naivität. Ich glaube aber, dass man ohne eine gewisse Naivität nichts bewirkt. Ich finde, dass alle Wege gut und richtig sind, die Menschen in Form einer konstruktiven Auseinandersetzung zusammenbringen.

teleschau: Sie glauben noch an die humanistischen Ideale der Kunst?

Schüttler: Ich glaube schon an das Gute im Menschen – ich hoffe zumindest darauf. Zynisch bin ich jedenfalls nicht. Und ich habe einen Beruf, der eine gewisse Verantwortung mit sich bringt. Es ist doch toll, wenn man Theater spielt, und dann kommt ein Mensch auf einen zu, der sagt: „Dieser Abend hat mein Leben verändert, weil ich etwas begriffen habe!“

teleschau: Spielen Sie zurzeit viel Theater?

Schüttler: Ich spiele in Berlin an der Schaubühne und probe aktuell am Deutschen Theater.

teleschau: Täuscht der Eindruck, oder fühlen Sie sich auf der Bühne ein bisschen mehr zu Hause als im Film?

Schüttler: Nein, es ist schon beides. Wenn ich das eine mache, beginne ich mich ab irgendeinem Punkt nach dem anderen zu sehnen.

teleschau: Berühmt wird man in jedem Fall eher, wenn man mittwochabends vor einem Millionenpublikum in der ARD zu sehen ist. Hat das einen Wert für Sie?

Schüttler: Eigentlich nicht. Berühmtheit ist nur insofern interessant, als dass man mehr Freiheiten hat, sich seine Rollen auszusuchen. Wenn man in Deutschland wirklich ein Schauspielstar werden will, sollte man sich ab und zu ein hübsches Kleid anziehen, über diverse rote Teppiche laufen und sich dabei fotografieren lassen. Ich weiß nicht, ob ich mir das mal für ein Jahr vornehmen sollte … (lacht)

teleschau: RP Kahl hat vor fünf Jahren über Sie und drei Schauspielkolleginnen das schöne Porträt „Mädchen am Sonntag“ gedreht. Fühlen Sie sich heute beruflich gefestigter, als es damals den Anschein hatte?

Schüttler: Ich traf RP Kahl dieses Jahr auf dem Filmfest München. Und wir fanden beide, dass es spannend wäre, den Film heute noch einmal zu machen. Ich bin älter geworden, es ist viel passiert. Es ist immer so schwer zu benennen, was genau sich verändert hat. Aber wenn ich heute noch mal mit ihm auf diese Reise gehen würde, käme da ganz sicher ein anderer Mensch zum Vorschein.

teleschau: Ein erwachsenerer Mensch?

Schüttler: Natürlich. In den letzten fünf Jahren hat sich viel getan in meinem Leben. Ich war als Kind immer sehr klein. Da wird man von Menschen in bestimmter Weise behandelt und nimmt bestimmte Verhaltensmuster an, weil man merkt, dass man so am einfachsten durchs Leben kommt. Das ist wie eine Rolle, die man spielt, aber die überträgt sich ins echte Leben. Es gehört zum Erwachsenwerden dazu, diese Muster zu erkennen und sich im Idealfall davon zu befreien.

teleschau: Ist Ihnen das gelungen?

Schüttler: Ich denke schon. Ich spiele inzwischen ja auch keine Abiturientinnen mehr. Da fragt man sich halt: Ich bin jetzt 30. Was kann ich stattdessen sein? Wen soll ich spielen? Das Wichtige ist, das man sich den Freiraum lässt, mit seinen Rollen auch privat zu wachsen.

teleschau: Wie hat sich Ihr runder Geburtstag denn vergangenes Jahr angefühlt?

Schüttler: Der hat sich gut angefühlt. Mir geht’s eh mehr und mehr so, dass mich das Thema Alter nicht interessiert. Wie alt Menschen sind, ist mir einfach wahnsinnig unwichtig.

teleschau: Eine angenehme Erkenntnis?

Schüttler: Total. Man wacht an so einem Geburtstag wie an jedem anderen Tag auch auf. Alle fragen: „Und, fühlste Dich jetzt anders?“, und man antwortet immer nur: „Nee!“ Ist doch so.

teleschau: Haben Sie groß gefeiert?

Schüttler: Überhaupt nicht, das lief ganz unspektakulär. Ich drehte in Rom und war sehr froh, dort zu sein und nicht unter gesellschaftlichem Druck und mit großem Bohei meinen 30. Geburtstag feiern zu müssen. Ich fand das sehr entspannend.

teleschau: Sie stehen nicht gerne im Mittelpunkt?

Schüttler: Doch schon, aber lieber auf der Bühne.


Das Interview wurde am 16.7.2010 erstmals veröffentlicht. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von teleschau – der Mediendienst GmbH