Für die Pressemappe zum Film „Unsere Mütter, unsere Väter“ stellten Julia Kainz und Birgit-Nicole Krebs Fragen an die Schauspieler Volker Bruch, Tom Schilling, Katharina Schüttler, Ludwig Trepte und Miriam Stein. Hier sind aus diesem Interview die Antworten von Katharina Schüttler.
Sie verkörpern in „Unsere Mütter, unsere Väter“ junge Menschen, die voller Erwartungen und Träume in ihr Leben starten wollen. Dann kommt der Krieg, der sie selbst und alles um sie herum verändert. Was hat Sie gereizt, bei diesem Dreiteiler mitzuspielen?
Katharina Schüttler: Beim ersten Lesen des Drehbuches war mir klar, dass „Unsere Mütter, unsere Väter“ ein außergewöhnlicher Stoff ist. Sowohl was die Erzählstruktur betrifft, als auch die Menschen, von denen er erzählt. Es sind keine klassischen Opfer und auch keine Helden. Fünf junge Menschen, die zu Tätern und Mittätern, zu Mitläufern und auf ihre Weise auch wieder zu Opfern werden. Sie sind sich nur bedingt bewusst, was sie tun und ohne sie wäre dieser Teil unserer Geschichte bestimmt anders verlaufen. Sie sind beispielhaft für viele Biografien dieser Zeit. Sie zu portraitieren war für mich ein großer Anreiz, bei dem Projekt dabei zu sein.
Wilhelm, Friedhelm, Charlotte, Greta und Viktor verbindet Freundschaft, Liebe, Zuneigung – und doch sind sie alle fünf verschieden. Wie würden Sie Ihre Figur und deren Konflikte beschreiben?
Katharina Schüttler: Greta ist das, was man vielleicht „Mitläuferin“ nennen könnte. Sie nutzt das System für ihre eigenen Zwecke. Sie hinterfragt es nicht. Politik interessiert sie schlichtweg nicht. Die Nazis sind für sie so lange interessant, wie sie ihrer Karriere förderlich sein können. Als sie ahnt, dass ihre Beziehung zu Viktor, der Jude ist, dieser im Weg stehen könnte, ist sie bereit, diese Beziehung zu opfern. Sie will Viktor aber retten, denn sie liebt ihn, und gleichzeitig um jeden Preis Karriere machen. Sie verkauft sich an die Nazis, ohne sich bewusst zu sein, mit wem sie es zu tun hat. Ich denke, viele Menschen waren wie Greta: im weitesten Sinne unpolitisch und vor allem mit dem eigenen Schicksal und Wohlergehen beschäftigt.
Die Dreharbeiten dauerten über dreieinhalb Monate. Es gab sehr viele Drehorte und aufwendige Szenenbilder. Was waren für Sie die größten Herausforderungen während dieser Zeit?
Katharina Schüttler: Die größte Herausforderung für mich war es, die enorme Verwandlung, die Greta im Verlauf der Geschichte durchmacht, darzustellen. Vom Mädchen Greta Müller, dass von einer Karriere als Sängerin träumt, zum Schlagerstar Greta Del Torres, einer Diva, die die Welt um sich herum nur noch durch einen Filter aus Hermelin und Nerz wahrnimmt und schließlich aller Dinge in ihrem Leben beraubt wird. Darüber hinaus stellte natürlich das Singen eine große Herausforderung dar.
Hat sich Ihre Einstellung zu ihrer Figur und der damaligen Zeit während der Dreharbeiten verändert?
Katharina Schüttler: Es ist eine erstaunliche Erfahrung, die man als Schauspieler machen darf, im Rahmen von Dreharbeiten in eine vergangene Zeit einzutauchen. Sich selbst in ihr wieder zu finden. In den Spiegel zu schauen und zu denken: Ist es ein ähnliches Bild, das meine Großmutter sah, wenn sie in den Spiegel blickte als junge Frau? Sich in einer Welt zu bewegen, die optisch und haptisch der Welt vor 70 Jahren entspricht. Es ist ein Prozess, im Laufe dessen so etwas wie eine Wechselwirkung stattfindet. Mehr und mehr verschmelzen die Welten miteinander und die reale Erfahrung heute wird zu einer möglichen realen Erfahrung damals. Ich empfinde es als ein großes Geschenk, auf diese Weise einen Einblick in eine vergangene Zeit zu bekommen.
Was macht es mit einem Schauspieler, in einem Film zu agieren, der zum Großteil im Krieg spielt, an der Front, in Gefechtssituationen, im Lazarett?
Katharina Schüttler: Greta bleibt als Einzige in Berlin. Für sie ist der Krieg etwas, das sie zunächst nur aus der Wochenschau kennt. Er berührt ihr Leben im Grunde nicht. So wird es wohl gewesen sein, für viele Millionen Deutsche. Man ist jubelnder Anhänger einer Sache, eines Krieges, dessen Grausamkeit und realen Abgründen einem in der alltäglichen Beschäftigung mit dem eigenen Leben verborgen bleiben.
Der Film hat besonderen Einsatz gefordert. Wie haben Sie sich auf die Dreharbeiten vorbereitet?
Katharina Schüttler: Ich habe Gesangsunterricht genommen, Gretas Song „Mein kleines Herz“ einstudiert, ihn im Studio aufgenommen. Es war enorm wichtig gut vorbereitet zu sein, um in der knappen Zeit beim Dreh von einer Sekunde auf die andere Greta Del Torres erscheinen zu lassen. Ich habe viel Musik gehört aus der Zeit, Filme gesehen, mich intensiv mit Marlene Dietrich beschäftigt, die in der Geschichte auch ein Vorbild für Greta ist. Darüber hinaus habe ich eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Stunden mit der Kostümbildnerin in unzähligen Kostümanproben verbracht. Wir hatten viele Originalkleider und Stoffe, selbst die Strümpfe und Strumpfhalter waren aus der Zeit.
In „Unsere Mütter, unsere Väter“ spielen fünf junge Hauptdarsteller unter der Regie des jungen Regisseurs Philipp Kadelbach. Wie war die Zusammenarbeit beim Dreh? Wie ging man mit dem historischen Thema um?
Katharina Schüttler: Die Arbeit mit allen Kollegen und vor allem auch mit dem Regisseur Philipp Kadelbach war geprägt von beispielhafter Leidenschaft und Kompromisslosigkeit. Trotz des schweren Themas hatten wir viel Spaß miteinander.
Welchen Bezug haben Sie zum Thema NS-Zeit und Zweiter Weltkrieg?
Katharina Schüttler: In der Schule ist mir die Zeit sehr schwarzweiß und „papieren“ vermittelt worden. Ich weiß noch, wie schockierend es war, zum ersten Mal Aufnahmen aus dem „Dritten Reich“ in Farbe zu sehen und zu denken: Wahnsinn! Das waren ja wirklich Menschen wie Du und ich! Die Welt war die gleiche, die sie heute ist, mit all ihren Farben.
„Unsere Mütter, unsere Väter“ ist das Portrait der Generation in Deutschland, die ihre Jugend an den Zweiten Weltkrieg verloren hat. Über Ihre Erfahrungen und Gefühle in dieser Zeit haben die wenigsten gesprochen. Wie ist oder war das in Ihrer Familie?
Katharina Schüttler: Eine meiner Großmütter hat viel berichtet und auf Drängen ihrer Kinder und Enkelkinder auch Vieles davon aufgeschrieben. Es sind sehr berührende Geschichten aus einer fremden und, gefühlt, sehr vergangenen Welt. Und doch sind es die Geschichten der Jugend der Frau, die meine Großmutter ist, und die heute vor mir steht. So lange kann es also doch noch nicht her sein.
In welcher Weise glauben Sie, denken junge Menschen heute über die damalige Zeit nach?
Katharina Schüttler: Ich glaube, dass vielen jungen Menschen heute diese Zeit wenig bedeutet und in ihrem Leben keine große Rolle spielt. Umso mehr denke ich, ist es von Bedeutung, diesen Teil unserer Geschichte in Erinnerung zu halten, ihn als Teil unserer Welt heute zu begreifen und aus der Unbewusstheit dieser Zeit zu lernen. Zu erkennen, was für einen Strudel der Gewalt menschliche Ideologien erzeugen können und wozu Menschen bereit sind, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. Ich denke, Film ist ein großartiges Medium um eine vergangene Zeit für die heutige Generation plastisch zu machen.
Ein Film wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ kann jungen Menschen ein Gefühl der Erlebnisse ihrer Groß- und Urgroßeltern geben, auf eine emotionale und nicht immer schöne Art und Weise. Ich bin sehr gespannt, was meine Großmütter zu diesem Film sagen werden. Ich glaube, dass „Unsere Mütter, unsere Väter“ ein Anlass zu einem Dialog sein kann, für den eines Tages, in nicht all zu ferner Zukunft, der wichtigere Gesprächspartner fehlen wird. Die Zeit eilt also.
Quelle: Pressemappe des ZDF-Dreiteilers Unsere Mütter, unsere Väter