Katharina Schüttler:
Schauspielerin ohne Netz und doppelten Boden
Von Kathrin Pardieck
Der von der NORDMETALL-Stiftung vergebene „Ulrich-Wildgruber-Preis“ gehört zu den renommiertesten Schauspielerpreisen Deutschlands. In diesem Jahr wurde Katharina Schüttler damit ausgezeichnet. Wer ist diese Frau, die schon 2006 mit damals 27 zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt wurde?
Unglaublich ist diese Zahl, wenn man Katharina Schüttler zum ersten Mal sieht. Auf knapp 20 Jahre Schauspielerfahrung blickt die zierliche, 1 Meter 60 große Frau zurück. Dabei ist sie gerade erst 30 Jahre alt geworden. Mit elf drehte sie ihren ersten Film. Heute ist sie gemeinsam mit Iris Berben, Nikolai Kinski, Daniel Brühl oder Matthias Schweighöfer im Kino zu sehen. Und arbeitet am Theater mit so anerkannten Regisseuren wie Luk Perceval und Thomas Ostermeier.
20 Jahre vor der Kamera und auf der Bühne. Das traut man ihr zunächst nicht zu. Doch dann fängt Katharina Schüttler an, über Ihre Arbeit zu sprechen. Mit jedem Satz, dessen Worte sie sorgsam abwägt, wird klar: Da spricht eine, die es ernst meint mit ihrem Beruf. Mit ihrer Berufung. Für die Ernsthaftigkeit, die Kompromisslosigkeit und die Passion mit der sie arbeitet, wurde Katharina Schüttler jetzt mit dem „Ulrich-Wildgruber-Preis“ geehrt. Bei der feierlichen Gala im vollbesetzten Hamburger St. Pauli Theater überreichte Dr. Thomas Klischan, Vorstand der NORDMETALL-Stiftung, Urkunde und Scheck über 10.000 Euro. Der Preis wird seit vier Jahren von der Stiftung vergeben und gehört zu den wichtigsten in Deutschland. Was er für die aktuelle Preisträgerin bedeutet?
„Erst einmal freue ich mich unglaublich über die Auszeichnung“, erwidert sie spontan und rundheraus. Schweigt einen Augenblick und ergänzt dann präzise: „Dabei glaube ich, dass man das für sich ganz klar trennen muss: Natürlich ist es absolut großartig, wenn man auf diese Art und Weise etwas zurückbekommt für seine Arbeit und eine Bestätigung erfährt. Trotzdem ist so ein Preis letztendlich nur eine schöne Zugabe zu dem, um was es ja eigentlich geht. Meine Arbeit.“
Fähnchen nicht in den Wind
Das Arbeiten, das ist das Wichtigste. Und die Präzision beim Arbeiten. Schauspielerin des Jahres ist sie schon geworden. Für ihre Titelrolle in Ibsens „Hedda Gabler“, für die sie auch den Deutschen Theaterpreis „Faust“ erhielt. Ganz aktuell wurde Katharina Schüttler mit dem Bayerischen Filmpreis 2010 ausgezeichnet. Jetzt der Wildgruber-Preis. Nicht leicht, bei so viel Aufmerksamkeit, auf das Wesentliche konzentriert zu bleiben. Doch Katharina Schüttler ist keine, die den Fokus verliert: „Was mich fasziniert an Regisseuren, an Drehbuchautoren, an Produzenten – an Menschen überhaupt, ist eine Art Kompromisslosigkeit. Die Tatsache, dass ein Mensch etwas will. Gerade in der Film- und Theaterwelt begegnet man häufig Menschen, die ihr Fähnchen in den Wind halten. Es ist mir wichtig, dass Menschen Mut aufzubringen und sagen: Ich tue meine Arbeit mit Lust, mit Überzeugung und ohne Arroganz – ich tue sie mit Herz. Dann fängt eine Arbeit an, mich zu interessieren. Oft sind das auch die Menschen, die spannende Geschichten mit herausfordernden Figuren zu erzählen haben.“
Radikal und authentisch
Sie spricht viel darüber, dass es auch auf der Bühne und im Film darum geht, sich selbst treu zu bleiben und wahrhaftig zu sein. Wahrhaftigkeit. Solch schöne altmodische Wörter benutzt Katharina Schüttler. Und wer ihr zuhört, der merkt, dass sie das sehr ernst meint. Dann wirkt sie wie eine, die schon auf lange Erfahrung bauen kann und so charakterstark, wie die Figuren, die sie verkörpert. Dieser Funke springt auf ihr Publikum über. Als Iris Berbens Filmtochter Alice in „Es kommt der Tag“ scheint der Konflikt zwischen den beiden Frauen für den Zuschauer fast mit Händen greifbar zu sein. Ungestüm, radikal und dabei authentisch ist – so sind viele der Rollen angelegt, in denen Katharina Schüttler zu sehen ist. Oft spielt sie Figuren, die ihr Gegenüber aus einer Art Lethargie befreien und sie zurück zum wirklichen Erleben und Leben – fast schon zwingen. Wirklich. Das ist ein anderes häufig genutztes Wort von Katharina Schüttler: „Egal ob im privaten Leben oder auf der Bühne: Es geht darum, etwas wirklich zu tun. Von den Ängsten loszulassen und sich ins Leben hineinzuschmeißen. Es gibt keinen doppelten Boden und kein Netz. Ich merke, dass ich die besten Ergebnisse und Antworten bekomme, wenn ich gar nicht denke. Sondern nur noch bin. In diesem Zustand, kann man ohne viel Anstrengung Menschen ganz tief berühren. Es gibt Menschen, wie Ulrich Wildgruber, die das von ihrer Natur schon mitbringen. Die Präsenz, die Offenheit und dieses ‚wirklich im Moment sein’. Genau in dem Moment, in dem sich zwei Menschen anschauen, da passiert etwas. Da passiert ja real etwas, auch auf der Bühne. Ich mein’ es eigentlich ganz simpel: Es gibt manche Dinge, über die kann man nicht reden, die kann man nur tun.“
Kein TV-Klon
Nicht reden, sondern tun: Der Wildgruber-Preis soll – so steht es in den Statuten – ausdrücklich „eigenwillige Begabungen fördern, die in einer Welt von geklonten Fernsehgesichtern besonders aufgefallen sind und ihnen helfen gradlinig ihren Weg zu gehen“.
Katharina Schüttler dazu: „Ich finde es toll, dass Sie sagen, das finden wir auszeichnenswert. Das ist so wichtig. Dieses Phänomen, das Menschen sich als Individuum verlieren, sich nur noch als Masse bewegen und anfangen, einfach nur mitzulaufen, das erschrickt mich immer wieder. Gleichzeitig leben wir aber in einer Gesellschaft, in der es einiger Kraft bedarf, eine Meinung zu vertreten und offen zu bleiben, sie zu revidieren, wenn es dafür gute Gründe gibt. Deswegen finde ich es gut, wenn ein Preis genau diesen Mut und diese Stärke einfordert und würdigt.“
Typisch Katharina Schüttler, spielt das Kompliment einfach zurück. Dabei ist sie es doch, die den Preis bekommt.
Die NORDMETALL-Stiftung fördert Kultur auch deswegen, weil es wichtig ist, dass Künstler die Dinge immer wieder neu denken. Dass aus der Provokation und dem Anderssein der Kunst Neues in Bewegung kommt und die Gesellschaft neue Impulse erhält. Nach dem Verhältnis von Kultur und Gesellschaft befragt, antwortet die frisch gekürte Preisträgerin: „Ich finde es großartig, dass die Stiftung sich dieser Aufgabe annimmt. Und: Ja. Ich habe diesen Idealismus. Es ist sicherlich möglich, Veränderungen zu bewirken. Und sei es nur bei einer Person von 500 in einem Publikum. Bei der geht dann plötzlich ein Gedankengang in eine andere Richtung. Daraus entspringt etwas Neues. Genau da liegt auch die Verantwortung bei Theatermachern oder Künstlern: Es geht darum, einen Weg zu finden, aus dem Kosmos auf der Bühne heraus die echte Welt zu berühren.“
Im Februar kommt ein neuer Film mit Katharina Schüttler heraus. In „Die zwei Leben des Daniel Shore“ ist sie gemeinsam mit Nikolai Kinski zu sehen. Zwei Filmproduktionen beginnen im März. Die Arbeit geht weiter. Wirklich. Geradlinig. Berührend.
Dieser Text ist zuerst erschienen in STANDPUNKTE, hrsg. vom Nordmetall-Verband Ausgabe 1/2010, S. 20–22
Hier kann man die Standpunkte-Ausgabe mit dem Porträt von Katharina Schüttler als pdf herunterladen
Hier sind die drei Porträt-Seiten als Foto